Ohne Erdung
„Welche Lieder wollen wir denn singen? Ich wähl da mal was aus“, war Rainers Vorschlag gewesen.“ Als Zugabe spiele ich Imagine, weil das Schiff doch so heißen könnte.“
Wir landen abends in Fort de France und sind komplett falsch angezogen. Schließlich war es bei unserem Abflug in Hamburg am 1. November um 6 Uhr morgens ziemlich ungemütlich gewesen.
MItten in der Nacht konnten wir uns von Björn, unserem Sohn, noch mit herzlicher Umarmung verabschieden. Tränen waren keine geflossen, wir wollten nun auch los und unser Abenteuer starten. Er übernimmt das Haus in Hamburg und wird es mit seiner WG bestimmt bespaßen.
Viele Abschiede und eine gelungene Abschlussparty liegen hinter uns. Unser Freund Rainer hat das ganze Haus zum Beben gebracht. Unvergesslich bleibt “ La Paloma „, alle sind in diesem Augenblick zusammen und keiner will ein Foto machen. Selten spüren so viele Menschen das Gleiche, Abschied und Aufbruch. Steigerung gab es noch durch „ALoha“, was die Kleinen rudernd unterstützten. Es gibt auch mulmige Gefühle, wenn ich mir vorstelle, was ich alles aufgebe und welche Herausforderungen auf mich zukommen. Schaffen wir auch alles? Dreht man nicht ein zu großes Rad?
Wir finden uns jedenfalls selber stark und wissen von einander um unsere Fähigkeiten, die sich super ergänzen.
Als wir endlich aus dem Flughafen raus sind, laufen wir erstmal gegen eine Wand. Es ist total schwül und heiß. Der Boden atmet Pisse aus. Eine Frau macht uns bei der Autovermietung aufmerksam:“ Faites attention à votre baggage“.
Hier stinkt es, du wirst beklaut und überhaupt ist es viel zu warm, sind die ersten Eindrücke.
Am Himmel streiten sich die Blitze, es ist so dunkel, dass wir im Auto das Gefühl haben, kaum Licht anzuhaben.
Eine Irrfahrt zu unserer Wohnung in der Anse d’Arlet beginnt. Es regnet, die Klimaanlage funktioniert erst mal nicht so richtig, alles ist beschlagen. Man sieht nichts. Wir rasen durch die Dunkelheit und verfahren uns auch deshalb, weil wir uns die Gegend schönreden. “ Das ist doch die richtige Abfahrt „. Beinahe hätten wir noch einen Hund , der plötzlich viel zu dicht an der Straße stand, überfahren. So ähnlich muss es sich in “ Fegefeuer der Eitelkeiten“ angefühlt haben, als die beiden, er und seine Geliebte mit breitem Südstaatenakzent, orientierungslos durch das nächtliche New York rasen. Jedenfalls läuft die kleffende Meute viel zu lange mit uns mit, was ziemlich bedrohlich wirkt. Als ich zwei Wachleute nach dem Ort frage, beschlägt meine Brille so als käme ich gerade aus oder in die Sauna. Klarheit ergibt sich schnell, wir sind im falschen Ort gelandet. Also weiter. Überhaupt ist es so derartig laut um uns herum, dass wir ernsthaft auf die Idee kommen, das geliehene Auto wäre kaputt. Jörg verlangsamt die Fahrt. Die Geräusche und der Krach ,vergleichbar mit geschüttelten leeren Flaschen kommt deutlich von außen. Irgendwie liegt es wohl auch daran, dass wir total überanstrengt sind und die Wahrnehmung so überspannt ist.
Wir finden die Wohnung dann doch und werden schon von Ann, die für die TO Leute arbeitet, erwartet. Duschen, duschen, duschen und dann weiter sehen. Ann hat für uns Früchte besorgt und so genießen wir im seidenen Bademantel sitzend diese Köstlichkeiten und fangen an zu ahnen, dass sich eine neue Welt eröffnen wird.
Am nächsten Tag werde ich wach, weil es wie aus allen Eimern gießt und auch die Palmen vor unserem Balkon missbilligend klappern und die Blätter hängen lassen. Wo bin ich hier eigentlich gelandet? Wer gibt mir mein altes Leben wieder ? Es hat sich aber angenehm auf circa 25 Grad abgekühlt.
Uns ist klar, dass wir heute schon mal „Schiff luschern “ wollen und bestimmt einen Weg in den Werftbereich finden werden. Nach dem Einkauf sehen wir dann auch schon die „Imagine“ von Weitem. Der bunte Anstrich ist wirklich hilfreich. Eine erste oberflächliche Besichtigung mündet dann schnell in dem Ergebnis: Wir habe die richtige Entscheidung getroffen. Im ersten Erscheinungsbild zeigt sich, dass der Zustand überaus gut und die verwendete Ausstattung von hoher Qualität sind. Für den nächsten Tag sind wir mit unserer Madame Dupland von Carabien- Yachts verabredet. Nun wird es richtig spannend, wie das Schiff von Innen aussieht.
Die ersten Tage gehen dahin. Unsere kleine Wohnung in der Anse d‘ Arlet ist ein überaus wichtiges Rückzugsgebiet, wo wir uns erholen und auf unser neues Leben einstellen können. Wir kochen gut, schlafen sehr viel und schauen deutsches Fernsehn per Internetstream. Auf dem kleinen Balkon können wir nun anlanden. Mit dem Auto, das wir als fliegende Werkstatt oder Büro bezeichnen, fahren wir morgens durch die Dschungellandschaft „zur Arbeit“.
Madame Dupland erwartet uns dann. Sie ist ein Organisationstalent und überaus bedeutend für uns, weil wir uns auch ein wenig bei ihr anlehnen können. Sie ist witzig und heiter, muss aber auch eine Menge gleichzeitig bewältigen. Jedenfalls kommen wir so in Kontakt mit dem gutaussehenden Alain, der uns in einem Gutachten bestätigt, dass wir ein wirklich gutes Schiff kaufen werden. Auch seine Körpersprache verrät mir, dass er vom Zustand begeistert ist. Leider verliert er seine Sonnenbrille. Tage später liegt sie tief vergraben in einer Vorschiffsbackskiste. Wir suchen zunächst alle, aber das Schiff ist wohl zu groß. Der Vorbesitzer hat eine portable Klimaanlage installieren lassen, was überaus angenehm ist. Jörg macht sich auf den Weg, um Werkzeug zu kaufen. Alan: “ C‘ est la même chose que des infantes au magasin jeux „. Jedenfalls kommt er vorläufig nicht wieder, während Madame Dupland und ich weiter die Geheimnisse des Schiffes erkunden. Sie ist wohl auch mal allein mit ihrer zehnjährigen Tochter in der Südsee gesegelt und meint, es gäbe dort interessante Wildpferde zu reiten. Ich habe meine Reithose im Gepäck, wer weiß, was sich noch alles ergibt?
In der ersten Woche schaffen wir viel: Erkundung des Bootes, Gutachten, Verhandlung mit dem Vorbesitzer über die fehlende Rettungsinsel, Kauf eines Beibootes mit Aluboden und Erwerb von Antifoulingfarbe.Wir lernen nicht mehr selbst nach Geschäften zu suchen, sondern machen uns vorher schlau.
Hier gibt es deutlich weniger Monopolisierung, daher ist die Angebotsseite auch unübersichtlicher. Die Verkaufsflächen sind anders strukturiert.
Die „karibische Gelassenheit“ wird uns zum Vorbild. Gießt es wie aus Eimern, wartet man halt oder zieht die Schuhe aus, um den Regen zu genießen. Eine Frau will ihre Ballerinas dadurch schützen, dass sie immer erst die Ferse aufsetzte, wie ein Kind, das Laufen lernt. Unsere Blicke begegnen sich, als sie merkt, dass ich ihre neue Gangart beobachte.
Am Ende sind die Schuhe trotzdem nass und wir beide lächeln uns an. Männer fahren hier auch im Regen angezogen wie zur Tour de France und drehen ihre Runden. Ich erinnere mich an „und ihre Leiber glänzten in der Sonne…“ und wie schön unser Abschied aus Hamburg war.
Wir haben uns unser neues Leben ja bewusst so ausgesucht, also warten wir mal, was so kommt. Das Schreiben macht mir Spaß und so kann ich etwas siddarthern, was mir gut tut.
Sonntag auf Martinique
Es ist merkwürdig still geworden. Im Dorf kräht irgendwo ein Hahn und ich höre den Flügelschlag anderer Vögel, die an unserer Terasse vorbeifliegen. Es ist ja auch Tag geworden.
Nach einem ausgiebigen Frühstück sitzen wir im Schatten und jeder verliert sich in seine Baustellen, im Hintergrund arbeitet die Waschmaschine. Jeans bleibt mir vom Leibe, ich schwitze auch so im Sitzen. Der Kaffee tut sein Übriges. Sorry, beim Schreiben beschlägt mir schon wieder die Brille.
Gestern Abend habe ich die erste Cucaracca gesichtet und spontan erschlagen. War jetzt auch nicht sooo schlimm. Vorsorglich lege ich alle Sachen hoch, schließlich hat das hier auch System in der Wohnung.
Am Nachmittag waren wir am Meer und haben in einer Bar zwei Biere genommen. So schwingen wir uns auf unsere neue Seite ein und studieren, wie man in der Grand Anse so vor Anker liegt, das Dinghi festmacht und erste Restaurants findet. Alles macht einen sehr verschlafenen Eindruck, schließlich ist ja auch noch Vorsaison oder es herrscht halt karibische Gelassenheit.
Mit den Füßen sind wir im Wasser und befinden beide, dass wir hier richtig sind. Am Sonntag schaffen wir es endlich, die Verteilerliste für Nachrichten nach Hause zusammenzustellen, erholen uns ausgiebig, gehen nachmittags zum Baden. Zum Sundowner findet sich spontan eine Bude mit Meerblick. Eine Band unterstützt durch einen Saxophonspieler probt ein bisschen, spielt dann doch , während das Meer noch kurz silbern wird, bevor die Dunkelheit einbricht. Ein Tänzer, der sich auffällig wichtig macht, hat ganz kleine Augen. Wahrscheinlich komplett stoned . Ich mache mich damit vertraut, wie die anderen mit ihm umgehen. Du nervst mich zwar, aber ich behandle dich ganz normal, freue mich abschließend, wenn du weg bist.