Vorbemerkung
Der folgende Blogbeitrag fällt etwas aus dem Rahmen. Angesichts der ungeheuer großen Anzahl von Schuh- und Ledergeschäften in Mexiko haben wir einen lieben Freund, der lange Jahre in Mittel- und Südamerika gelebt hat, gebeten, uns seine Reflexionen zu diesem Thema zu schicken. Hier sind sie und nicht nur für Frauen interessant.
Gastbeitrag aus Mexiko
Der Schuhmacher ist für die hiesigen Frauen auf Cozumel beinahe ein fester Punkt auf dem Vormittags-Einkaufsparcour. Auch hier kauft man sich die Schuhe nach Schönheit (zwei Nummern zu klein) und passt sie dann durch Weiten der Realität an. Schnürsenkel – in Deutschland heute ein mittelgroßes Einkaufsproblem – weil die Senkel nur mit angehängten Schuhen verkauft werden ist in Mexico easy: Auf einer gespannten Leine hängen sie wie Epiphyten über den Köpfen der Kunden und brauchen nur heruntergepflückt werden. Und während HH und Cozumel erste Welt sind, weil sie nur die Produkte der Sportschuhfirmen (Nike, Adidas, Puma, Converse, etc.) zeigen, stellt man bei einem Wechsel ins mexikanische Hochland in Puebla und Cuernavaca fest, dass die Männer wieder ganz normale Männer-Lederschuhe tragen, wie das schon bei unseren Vätern Mode war. Und man empfindet dies als angenehm altmodisch. Wer im Maya-Land, also bei uns hier, Schuhe kaufen will, der tut gut daran, sich schon mal die Ferse zu kürzen oder die Zehen zu knicken, denn bei Größe 39 ist Schluss!!! Frau mit einer Durchschnittsgröße unter 1,50 m haben nun mal keine großen Füsse. Sollte dies doch der Fall sein, siehe oben: ein oder zwei Nummern zu klein kaufen und weitenlassen.
Was sind sexy Schuhe?
Ich denke spontan an Charlie Chaplin’s Schuhe. Egal wie man es sieht, sie müssen erotisch gewirkt haben. Er war immerhin 5 x verheiratet (exakte Anzahl der Ehen wurde nicht gegoogelt, sondern frei geschätzt).
Ich finde, meine schwarzen Clarks haben einen ganz ähnlichen Charme, verschärft durch kurze weiße Socken, die ich entgegen des herrschenden oder vergangenen Modediktats dazu trage.
Unser jetziger Besuch, Schuhgröße 37, hat sich ganz normale, knallrote Schuhe mit Holmenkollen-Sohle (hinten hoch, vorne flach) gekauft, die das Entzücken ihrer Freundinnen hervorgerufen haben. Dünne Lederriemchen garantieren – nach meiner Einschätzung – für eine kurze Lauffreude, können aber – falls sie eine Leidenschaft für ihre neuen Schuhe entwickelt – noch manchem Schuster zu Reichtum verhelfen.
Stiefel immer in Argentinien kaufen!
Also Argentinien. Ich sage nur eins: Kuhhaut, Kuhhaut, Kuhhaut!!! Oder wie Gertrude Stein sagen würde: Eine Kuhhaut ist eine Kuhhaut ist eine Kuhhaut. Klar! Wenn eine Kuh ausgelöffelt ins Restaurant zum Verbraten geliefert wird, dann bleibt die Kuhhaut übrig und eignet sich für allerlei: Sättel, Sofabespannung, knackige Damenhosen, lappige Herrenhosen, gekämmt und frisiert als Wandschmuck oder Teppich, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Dem Interesse der Frauen näher liegt die Verwendung des Leders als Rohstoff für Handtaschen, Kleidung und Schuhwerk, sowie hochwertige Accessoires wie Geldbörsen oder Handschuhe.
Aber eine Dame in Argentinien ist nicht genötigt in Kuh zu gehen. Man denke einen Augenblick an die Weiten Argentiniens mit ihren Methan furzenden Schafen und welch zartes Leder die Lämmer dem Menschen schenken. Und damit nicht genug. Ein beliebtes Leder liefert das Carpincho oder Wasserschwein. Ich trage heute noch ein Carpincho-Portemonnaie an einer zarten Stelle meines Körpers. Und ich besaß einmal eine Weste aus Carpincho-Leder, die meine Erscheinung nicht unerheblich aufwertete. Leider musste ich bei einer Anprobe vor ein paar Monaten feststellen, dass Carpincho-Leder – anders als gewöhnliches Leder – mit den Jahren schrumpft. Auf jeden Fall ließ sich die Weste vorne nicht mehr zuknöpfen, wie ich bedauernd bemerkte.
Wir haben beide unsere Spezialgeschäfte in Buenos Aires gehabt, in denen wir unsere Ledersachen einkauften bzw. anfertigen ließen. Ein besonderes Vergnügen war die Beurteilung des Lammleders. Man forderte mich ständig auf, mich über die Qualität und die Zartheit – also praktisch die zarte Versuchung des Lammleders – zu äußern. Um es kurz zu machen und dennoch differenziert zu antworten, beschränkte ich mich darauf, die Aussprache des Wortes „Lamm-Leder“ zu variieren. Ein preiswertes Durchschnittsleder blieb ein Lamm-Leder, wobei bei der Aussprache die Zungenspitze noch relativ weit vorne blieb. Ein die Sinne anregendes, geschmeidiges Llamm-Lleder wurde mit bereits hochgeschnallterer Zunge und langem L ausgesprochen.
Argentinien ist ein Land mit einer soliden Handwerkskultur. Das dortige Zauberwort ist „Artesanal“, etwa „handwerklich“, „kunsthandwerklich“, „hausgemacht“, „handgefertigt“. Es scheint so zu sein, dass jeder Argentinier mindestens ein Talent hat. Alle zusammen genommen haben zusätzlich das Talent ihre Wirtschaft alle fünf Jahre vor die Wand zu fahren, aber das tut nichts zur Sache. Auf keinen Fall darf man dem Argentinier SAGEN, dass er talentiert sei. Er würde sich sofort überlebensgroß aufblasen und vor deinen Augen zerplatzen. Nicht umsonst geht der Standardwitz Lateinamerikas über die Argentinier so: „Was ist das beste Geschäft, das man mit Argentiniern machen kann?“ Antwort: „Ihn zu dem Preis kaufen, den er wert ist und ihn zu dem Preis verkaufen, von dem er denkt, den er wert sei!“ Sogar die Argentinier erzählen ihn manchmal in ehrlichen Augenblicken.
Wie talentiert die Argentinier sind, sieht man am besten an den Sonntagsmärkten, die praktisch in jeder größeren Stadt abgehalten werden. Dort gewinnt man den Eindruck, dass praktisch jeder Argentinier ein produktives Hobby hat und seine Familie bei großem Erfolg seiner „productos artesanales“ im Handumdrehen zu einem kleinen Produktionsbetrieb umfunktionieren kann. Der eine stellt Lampenbespannungen aus, der nächste stellt echte Männermesser mit Griffen aus polierten Knochen her, der daneben verkauft Limoncello neben einer Serie weiterer hausabgefüllter Fruchtliköre an den geneigten Passanten, eine feine Dame bietet mit bunten, zum Teil horriblen Gesichtern bemalte glatte Kieselsteine in gefälligen keinen Holzkästchen an. Und so weiter und so fort. Bilder, Skulpturen, alte Bücher, und absolut nichts aus China.
Handwerkliche Tätigkeiten werden „con amor“ (mit Liebe) oder „con experiencia“ bzw. „como debe ser“, also mit Erfahrung oder einfach, wie es sein soll, ausgeführt. „Con amor“ sollte man meiden. Gott sei Dank haben die Argentinier einen gewissen Stolz ihre Produkte ordentlich zu fertigen.
Overkill in Schuhen
Es gibt eine Theorie, die besagt, dass der Schuhkauf der einzige Kauf ohne Reue oder besser, der einzige Kauf ohne Frusterlebnis ist. Während eine Frau ihren Körper wie ein Schifferklavier oder ein Bandoneon erfährt, das mal oben, mal unten auseinanderklafft und sich wieder zusammenzieht, woraus resultiert, dass die Blusen-, Rock- und Kleidergröße von gestern auch von Gestern ist. Heute muss sie sich den neuen Bedingungen stellen, auch wenn es ihr nicht passt, dass ihr heute nicht mehr passt, was gestern noch tadellos passte. Da ist es von unschätzbarem Wert, dass sich die Schuhgröße nicht verändert. Ein Blick über die Regalreihen und die Fensterauslagen und alles, was gefällt, kann potentiell gekauft werden und schafft volle Befriedigung. Die Menge an – an sich überflüssigen Schuhen – könnte also ein Resultat von Frustvermeidung sein. Anstatt sich über die Kapriolen des eigenen Körpers zu ärgern, lieber gleich in die Konditorei und zum Sahnestück greifen. Und auch nach zehn Sahnestücken wird sich an den Füssen nichts geändert haben. Was früher passte, passt auch heute. Eine intelligente Shopping-Tour beginnt im Schuhgeschäft.
Männer scheinen diesem Problem nicht unterworfen zu sein. Zwar ist es so, dass eine Alternativ-Lochung des Gürtels eine nützliche Zusatzfunktion ist, ansonsten stellt sich ihm eher das Problem des Schrumpfleders bei Carpincho-Westen im Lauf der Zeiten, wie im Argentinienkapitel beschrieben.
Ich komme noch einmal auf das Thema Schuhgrößen zurück. Sie variieren je nach Weltgegend. Ihr segelt in der Karibik herum und die Besiedlung der Atlantikküste Zentralamerikas geschah ja durch Migration/Flucht Schwarzer von den größeren Inseln auf das Festland bzw. auf die Cayes davor.
Ich erinnere mich an unsere Zeit in Costa Rica Anfang der 90er Jahre, wo wir mit Erstaunen in die Auslagen der Schuhgeschäfte in Puerto Limón sahen. Dort fielen vor allem die High Heels in Katamaran (früher: Elbkahn)-Größe auf. Von Beerdigungsschwarz bis LSD-Bunt, lackiert, mattiert, mit oder ohne Perlen und Pailletten, es gab alles. Wer zum Teufel so etwas tragen konnte, sah man erst, wenn man wieder zur Straße schaute und plötzlich den typischen limonensischen Wanderspargel vor Augen hatte. Schöne, hauteng gekleidete, gertenschlanke schwarze Königinnen des Sidewalks mit einem Ganzkörper-Lächeln, hervorgerufen durch großzügig freigelegte Busen, die beim Gehen ihre Lebendigkeit bewiesen. Trotz ihrer zarten Statur machten sie nicht den Eindruck, von jedem Windstoß verweht zu werden. Ein Blick auf die Schuhe genügte, um zu wissen, warum.
Hast du schon mal über den Unterschied zwischen Schuhwerk und Bereifung nachgedacht. Ich meine, die Hälfte der Menschheit, möglicherweise sehr viel mehr, vor allem sehr viel mehr Frauen als Männer, tragen überhaupt keine Fußbekleidung mehr, die man Schuhe nennen könnte. Aus Bequemlichkeit bzw. weil es die klimatischen Verhältnisse erlauben, haben sie sich darauf verlegt auf ausgestanzten Gummischablonen mit Zehenlasso durch die Welt zu schlurfen. Am Strand, zu Hause, im Urlaub im Foyer guter Hotels, in den Museen vor den Augen ehrwürdiger Meister, im Supermarkt, überall sieht man sie. Das sind die gleichen Leute, die früher die Legionärssandale mit der Legionärskrankheit verwechselt haben, die Gleichen, die sich über Jesus-Latschen und die deutsche Qualitätssandale mit eingebauter Urlaubssocke amüsiert haben. Bloß weil ihre Gummilatschen bunt bedruckt sind und als Hawaiianas vermarktet werden, glauben sie, sich von den Spottobjekten früherer Tage zu unterscheiden. Sie tun es nicht!!!
Cuba Cuba Cuba
Ein Kuba-Hit ist: Hasta que se seque el Malecón (Bis der Malecón trocknet) von der Gruppe Jacob Forever (https://www.youtube.com/watch?v=UpbfrdYCSXo). Sie haben ein weiteres Lied geschrieben, das ich gerade gehört habe: La Dura (Die Harte). Das erste Lied greift das Bild auf, das Havanna-Besucher nicht vergessen, wenn bei heftiger Brise die Gischt vom Meer über den Malecón sprüht. In der Regel wird dann die Durchfahrt durch die Polizei gesperrt. In dem zweiten Lied müht sich Jacob Forever??? ab, um eine Hart-Herzige zu erweichen. Das Video zeigt, sie will keine Schokolade, aber anscheinend auch nicht diesen Mann. Deshalb versucht es mit… Schuhen. Würde euch das Modell, das Lied oder der Mann überzeugen? Siehe Screenshot
Schuhkauf in Brasilien?
Widmen wir uns der Frage, wo kauft der Herr und die Dame von Welt sein Schuhwerk am Vorteilhaftesten in Lateinamerika? Soviel sei schon verraten, Brasilien ist es nicht, obwohl sich seine Schuhindustrie weltweit ein Rüfchen erworben hat. Meine persönlichen Erfahrungen gehen dahin, dass sie zwar in der Lage sind durch schnittiges Design zu überzeugen, aber geringfügig instabile Wetterverhältnisse, wie ein Platzregen kann schon dazu führen, dass man sich lediglich mit dem Oberleder in den nächsten Hauseingang rettet, während die Sohle unbeirrt eine energische Geradeausbewegung verfolgt.
In Brasilien blicken sogar die Hühneraugen der Männer den Beinen der Frauen nach. Die notorische Sparsamkeit bei der Verbindung von Sohle und Oberleder mittels Stich & Faden, Nagelung oder Klebstoff führt regelmäßig dazu, dass sich der umtriebige, freiheitsliebende und notorisch neugierige kleine Zeh durch permanenten Druck auf das Oberleder freie Sicht auf die Welt um ihn herum verschafft. Freude und Enttäuschung dürften sich dabei die Waage halten. Brasilien ist nicht nur das Land absolut geiler und fußproblemfreundlicher Frauenschuhe, sondern auch Erfinder der abtörnenden, aber unkaputtbaren Hawaiianas.
„Tall and tanned and young and lovely, the Girl from Ipanema goes walking and when she passes, each one she passes, goes „ahh“.Aus diesem Grunde hat The Girl from Ipanema oder im Original Garota de Ipanema noch einen zweiten Titel, nämlich Samba de milho oder Hühneraugensamba.