Ich helfe als Skipperin bei Sarah auf der FÜRRIT aus, und so kommen wir wieder von Martinique nach St. Lucia, wo ich Holger kennen lerne, der hier seit 7 Jahren lebt. Im abendlichen Gespräch mit ihm stelle ich fest, dass er einen tieferen Einblick in das Leben hier hat. Wir verabreden uns zu einem Interview, das den Schwerpunkt Schule und Ausbildung haben soll. Das Bildungssystem ist noch wie zu Zeiten der kolonialen Abhängigkeit am englischen Vorbild orientiert: klare Unterteilung in private Anbieter mit besserer Qualität und in ein nur mittelmäßiges öffentliches Schulwesen, das aber auch Schulgeld kostet. 400,-EC$ (ca. 130 Euro) sind für 3 Monate zu bezahlen, zuzüglich 50,- EC$ für Essen und Getränke pro Monat. Sämtliche Materialien sowie die Ausgaben für die Schuluniform kommen noch dazu. Als Privatschulen gibt es die Internationale und eine an Montessori orientierte Einrichtung. Privat initiiert ist auch die Betreuung im Krippen und Elementarbereich, nursury – school , day – care, preschool, kindergarden und die homeschool, Privatunterricht, der zuhause stattfindet. Die Kosten für ein 5 -jähriges Kind in einer Montessori Einrichtung belaufen sich auf 800,- EC ( ca. 260 Euro) pro Monat. Ein preschool Besuch für 4 Jährige kann zwischen 450 und 750 EC für 3 Monate kosten. Holger berichtet aus eigener Erfahrung, dass die nursury – school, die unserem Elementarbereich entspricht, mit 3 Gruppen a 20 Kindern begonnen und nach einem halben Jahr sich bereits auf eine Gruppe mit 15 Kindern reduziert habe. Hintergrund ist die soziale Lage der Frauen, die überwiegend alleinerzeihend sind und das Schulgeld nicht mehr bezahlen können. Einen Fond oder Unterstützung gibt es nicht. Wer kann, sucht sich private Träger, die mit eigenen Gärten für die Kinder durchaus europäischem Standard entsprechen. Eine Schulpflicht gibt es theoretisch für Kinder ab 5 Jahren mit Beginn der primery school. Erscheint ein Kind nicht mehr zum Unterricht, fragen die Lehrer zwar nach, es gibt aber keine staatliche Institution, die nachfasst. Der Bildungserfolg hängt davon ab, ob die Eltern es wollen und finanziell schaffen. Die Schulausbildung endet bei entsprechender Leistung mit dem Collageabschluss. Der soziale Status der Eltern entscheidet darüber, ob eine universitäre Ausbildung möglich ist. Eine berufliche Ausbildung findet nicht statt, sodass es nur angelernte Arbeiter gibt, deren Arbeitszeiten und Verdienstmöglichkeiten ungeregelt sind. Urlaubsanspruch und Sozialleistungen sind nur bei internationalen Hotel- und Supermarktketten vorhanden, weil es dort Gewerkschaften gibt. Im öffentlichen Raum gibt es keine Spielplätze. Die, die durch private Initiative entstehen, wie der Indoor- Spielplatz in einem Einkaufszentrum, kosten gerne auch mal 20EC$ Eintritt. Die Kinder und Jugendlichen tragen Schuluniformen und unterscheiden sich durch die jeweilige Schule und den Jahrgang. Die Mädchen dürfen nur beim Sport Hosen tragen, ansonsten sind Kleid und Rock angesagt. Zusätzlich tragen sie bei der vorherrschenden Hitze noch Shorts darunter, um sich vor Blicken zu schützen. Die Lehrer geben zum Teil vor, welche Uniform an bestimmten Tagen zu tragen ist. Der Sinn dieser Disziplinierung erschließt sich nicht. Die Frage nach der Perspektive drängt sich auf. Wohin sollen die jungen Collageabsolventen? Eine effektivere Organisation der Arbeit würde noch mehr Leute arbeitslos machen. Das Land ist abhängig vom Tourismus, der aber in der Hurrikanzeit ( von Anfang Juni bis Ende November) faktisch zum Erliegen kommt. Damit gibt es weniger Arbeit für die Frauen, die vornehmlich in der Gastronomie beschäftigt sind. Als Alleinerziehende sind sie dann auf einen Sponsor oder auch mal auf einen Sugar Daddy angewiesen. Wer kann, wandert ab. Als ich mit dem Beiboot fahre, um Sarahs Gäste abzuholen, winkt ein Mensch am Rand und möchte mitgenommen werden. Es ist ein älterer Zahntechniker aus Österreich, der mir gleich stolz verkündet, dass er hier gut verdiene und man ja keine Steuern bezahle. 40km entfernt liegt Martinique mit seinem französischen Bildungssystem. Manche Mutter aus St. Lucia lässt ihr Kind dort von ‚ Verwandten‘ adoptieren, um ihm eine Perspektive zu geben und Kindergeld zu bekommen. “ Denn die einen sind im Dunkeln und die anderen sind im Licht und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ Ich glaube, es hätte dem Verfasser der Dreigroschenoper auch nicht gefallen.