Thomas Mann hat mit ziemlicher Selbstsicherheit einmal behauptet, dort wo er sei, sei auch deutsche Kultur und so konnte er auch seine Enttäuschung auf der Überfahrt nach Amerika nicht verbergen, als er beim abendlichen Dinner vom Kapitän nicht erkannt worden ist.
Edeka/Hamburg, mittlerweile mit einem Kommunikationscenter ausgestattet, geht der Frage kulinarisch nach. Plakatiert wird: „ Genießen Sie deutsche Lebensart bei uns.“ Interessant ist, was dazu gehört. 2 mal Bier, Milkaschokolade, Grauer Burgunder, Weizenbrötchen, Hengstenberg Sauerkraut, Kühne Senf und Wiener Würstchen, jetzt 0,66 vorher 0,99. Das wirkt ziemlich karg, liebes Edekakommunikationscenter.
Wir haben während unserer ersten Segeltour in den Kleinen Antillen festgestellt, dass wir Kultur und Großstadt auch etwas abgewinnen können. Auf den besuchten Inseln der kleinen Antillen gibt es jede Menge alte Wehranlagen in Form von Forts mit Geschützen, die Zeugen der Auseinandersetzung zwischen England und Frankreich um die Vorherrschaft in diesen Gebieten sind. Dies wird hinreichend präsentiert, wiederholt sich aber bald.
So entscheiden wir beide schnell, den Heimatbesuch in Deutschland um einen Besuch im Kernland der Dichter und Denker zu ergänzen. Wolfgang, Jörgs Cousin aus Thüringen, hat uns eingeladen. Weimar, durch die vielen Klassenfahrten bestens bekannt, ist aber diesmal nicht die erste Wahl.
Interessanter ist da Rudolstadt in seiner ganzen Schönheit von oben, von der Heidecksburg, betrachtet, wo der junge Schiller in Irrungen und Wirrungen verstrickt, der Liebe zweier Schwestern erlegen war. Diese Menage a trois gibt es in der Zwischenzeit auch als Kinofassung. Das ist doch spannend. Der junge Goethe war in Sachen Liebesleben auch nicht ungeschickt. Wenn er seine ersehnte Charlotte von Stein auf dem Schloss Großkochberg besuchen wollte, war dies immer ein guter Tagesritt von Weimar entfernt. Da musste er doch über Nacht bleiben. Zumal sich abends die Künstler im eigenen höfischen Theater trafen, um avantgardistische Eigenproduktionen anzuschauen. Der aufgeklärte Zeitgenosse kann auch heute noch auf dem Schloss ins wunderschöne Privattheater gehen.
Für uns ist Jena mit seiner altehrwürdigen Universität Endpunkt einer ersten Paddeltour, die in Kahla ihren Ausgangspunkt nahm. Die Saale ist zwar Namensgeberin des Liedes „ An der Saale hellem Strande…“, führt heute aber viel Sedimente mit, was den Reisespass nicht mindert, nur Baden will man dort nicht.
Übertroffen wird die Saale durch ihren Zufluss, die Unstrut. Auch hier wieder auf dem Wasser, ohne dem geht es wohl bei uns nicht, erleben wir eine herrliche Tour von Wendelstein nach Naumburg. Leichte Planungsfehler führen dazu, dass wir erst gegen Mittag so richtig loskommen und 5 Stunden paddeln, bis wir in Laucha unser Hotel erreichen. Aufgeladen mit Kultur, wie unsere Reise nun sein sollte, kommen wir an Memleben direkt vorbei, das Otto dem Ersten als Pfalz diente. Wer sich unterhaltsam in diese Zeit versetzen lassen möchte, dem seien die beiden Romane von Rebecca Gable „Das Haupt der Welt“ und „Die fremde Königin“ empfohlen, die in dieser Zeit spielen und in angenehm lesbarer Weise historisch Nachweisbares mit Fiktion verknüpfen. Das sich gleich anschließend von einer Anhöhe dem Paddler darbietende Museum für die berühmte Scheibe von Nebra regt nicht nur die Touristen, sondern auch die Einheimischen zu Diskussionen über architektonischen Geschmack an….
Schon damals gab es Weinanbaugebiete in der Gegend, so dass nicht nur Otto der Erste in diesen Genuss kam, sondern auch wir, die wir nach der anstrengenden Paddeltour abends geschwächt ins Plümeau fallen. Im Gedächtnis bleibt auch, dass Laucha eine gut erhaltene mittelalterliche Wallanlage hat und abends absolut nichts los ist. Da kann man sich wieder auf die Großstadt freuen.
Neben den vielen Weinbergen passieren wir am folgenden Tag diverse Burgen und entscheiden uns schnell, noch einen Tag in diesem Gebiet zu bleiben. In Naumburg bekommen wir leider kein Zimmer in der Roten Henne, dafür werden wir mit unserem themengebundenen Napoleonzimmer im Hotel Hallescher Anger voll entschädigt. Alles ist eben geschichtsträchtig.
So haben wir genug Muße, uns die Neuenburg bei Freyburg näher anzuschauen. Es überrascht hier die gute Präsentation, die sich auch um Randthemen, wie das der Aborte zur Zeit des Hochmittelalters, bemüht. Auch die anderen Besucher stellen schnell fest : „Ja schau mal, das mit der Wasserspülung ist ja genial“. Neben vielen Besitzern hat die heilige Elisabeth (ihr zu Ehren ist auch die Kirche in Marburg genannt) mit ihrem Mann hier gewohnt. Sie stirbt schon mit 24 Jahren, hat 3 kleine Kinder, mit denen sie, ganz aus ihrer Rolle als ungarische Prinzessin fallend, sich in die Elendsquartiere der damaligen Zeit zurückzieht, um Bedürftigen zu helfen.
So viel Kultur lässt sich nur mit einem trocken Weißwein aus der Gegend, Thüringer Klößen und den berühmten Thüringer Würsten verarbeiten.
Liebe Inge,
etwas spät – zugegebenermaßen – aber ich habe Deinen wie immer genussvoll zu lesenden Bericht beim samstäglichen Frühstück mir zu Gemüte geführt. Höchst interessante Hinweise zur deutschen Kultur oder sollte man sagen Kultur der Deutschen?
Allerdings nehme ich mal an, dass Ihr die erwähnten kulinarischen Kulturgüter nicht miteinander kombiniert zu Euch genommen habt. Gut, der Wein aus dem Gebiet Saale-Unstrut geht zu Gast allem. Aber Klöße zur Thüringer Wurst …?
Aber ich muss sagen, einen Tag vor der Wahl gelesen, gibt Dein Bericht ganz neue Anstöße im Kopf.
Herzlichst Antje